Etymologie
Der Name Bernstein stammt aus dem Mittelniederdeutschen und leitet sich von bernen, also „brennen“, und Stein ab – er bedeutet wörtlich „brennender Stein“.[1] Diese Bezeichnung bezieht sich auf die auffällige Eigenschaft des Bernsteins, bei Erhitzung leicht zu brennen und dabei einen angenehmen harzigen Duft zu verströmen. Bereits im Altertum war dieser fossile Harzstein unter verschiedenen Namen bekannt: Die Griechen nannten ihn ēlektron (ἤλεκτρον), wovon sich später das Wort Elektrizität ableitete – denn beim Reiben mit Wolle oder Fell lädt sich Bernstein elektrostatisch auf.[2] In römischen Quellen wird er als succinum bezeichnet, was auf das lateinische succus für „Saft“ oder „Harz“ zurückgeht.[3] Der deutsche Begriff Bernstein setzte sich ab dem 13. Jahrhundert allmählich gegenüber älteren Begriffen wie „Glasstein“, „Seebernstein“ oder auch „Glesebernstein“ durch. Die mittelniederdeutsche Form bernenstein ist erstmals im 13. Jahrhundert belegt und fand über den hansischen Sprachraum auch Eingang in andere germanische Sprachen.[4] Im Niederländischen entwickelte sich daraus barnsteen, im Schwedischen bärnsten, im Dänischen hieß der Stein früher brændesten („Brennstein“) – jeweils in direkter Anlehnung an die deutsche Wortbildung. Selbst das polnische Wort für Bernstein – bursztyn – leitet sich vermutlich über das Preußische bernistēnas letztlich ebenfalls von dieser mittelniederdeutschen Form ab. Damit ist Bernstein nicht nur ein sprachlich anschaulicher Begriff für die physikalischen Eigenschaften des Harzes, sondern auch ein bemerkenswertes Beispiel für die sprachgeschichtliche Verbreitung eines deutschen Mineralnamens im europäischen Raum.[5]
Überlieferung & Mythos
Bernstein, fossiles Harz aus urzeitlichen Koniferen, zählt zu den ältesten kultisch und kunsthandwerklich verwendeten Materialien der Menschheitsgeschichte. Bereits in der Jungsteinzeit wurde er in Form von Perlen, Amuletten und figürlichen Anhängern verarbeitet. Besonders bedeutend war Bernstein in den Kulturen des nord- und osteuropäischen Raums, wo er als Träger solarer und magischer Kräfte galt. Funde aus der Trichterbecherkultur (ca. 4200–2800 v. Chr.) und später aus der Bronzezeit belegen eine weitreichende Bernsteinstraße, die vom Baltikum über Mitteleuropa bis nach Italien reichte.
Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) beschreibt in seiner Naturalis historia verschiedene Anwendungen des Bernsteins: als Schmuckmaterial, als Amulett gegen Fieber und Geisterbefall – insbesondere bei Kindern – sowie in pulverisierter Form zur Behandlung von Hals- und Magenleiden.[1] Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) nennt Bernstein in seinem Werk De materia medica als wirksames Mittel gegen Asthma und Husten, insbesondere durch Inhalation des Rauches bei Verbrennung des Harzes.[2] Auch Galenos (129–ca. 216 n. Chr.) ordnet Bernstein den erwärmenden und trocknenden Substanzen zu und empfiehlt ihn bei feuchten Krankheitsbildern wie Katarrhen.[3] Die therapeutische Bedeutung des Räucherns als Reinigungs- und Heilanwendung, sowohl körperlich wie seelisch, spiegelt sich in diesen Anwendungen deutlich wider.
Tacitus (ca. 58–120 n. Chr.) berichtet in seiner Germania vom Bernsteinreichtum der germanischen Küsten und seiner kultischen Bedeutung. Der Begriff „Elektron“ verwies nicht nur auf seine physikalischen Eigenschaften, sondern auch auf seine assoziative Nähe zum Sonnenlicht, das ihm mythologische Strahlkraft verlieh.[4] In den prophetischen Visionen Ezechiels (Ez 1,4–28) erscheint ein „glänzender Stoff wie Golderz“, der von späteren christlichen Autoren wie Hieronymus (ca. 347–420) mit Bernstein identifiziert wurde, wenngleich im Brustschild des Hohenpriesters (Choschen) keine eindeutige Nennung erfolgt.[5]
Im Mittelalter wurde Bernstein in akademischer wie volkstümlicher Medizin geschätzt. Hildegard von Bingen (1098–1179) bezeichnete ihn in ihrer Physica als wirksam bei Herz- und Milzleiden und empfahl sowohl das Tragen als Amulett als auch die Einnahme in Wein gelöster Pulver zur inneren Stärkung.[6] Sie betonte zudem die spirituelle Dimension des Räucherns: Bestimmte Harze – darunter Bernstein – seien geeignet, das Herz zu reinigen und böse Geister zu vertreiben. Albertus Magnus (ca. 1200–1280) beschrieb in seinem De mineralibus die glühende Eigenschaft des Bernsteins als Zeichen seines wärmenden Wesens und verwies auf seinen Schutz gegen dämonische Einflüsse.[7] Thomas von Cantimpré (ca. 1201–ca. 1272) schilderte in seinem Liber de natura rerum den Bernstein als „Träne der Bäume“, durch Sonnenhitze verhärtet, und empfahl ihn zur Stärkung der Lunge und zum Schutz von Kindern.[8]
In der magischen Medizin galt Bernstein als wirksamer Talisman gegen die „fallende Sucht“ (Epilepsie) sowie das „böse Auge“. Seine Verbindung mit Licht und Sonne verankerte ihn tief in der Schutzsymbolik mittelalterlicher Weltbilder. In christlichen Kontexten wurde Bernstein, besonders im baltischen Raum, für Reliquiare und Rosenkränze verwendet, was seine Doppelrolle als Naturprodukt und Kultobjekt unterstreicht.
Die Blüte der Bernsteinkunst erreichte ihren Höhepunkt im Barock, etwa im legendären Bernsteinzimmer, das Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688–1740) dem russischen Zaren Peter dem Großen (1672–1725) schenkte. Als „achtes Weltwunder“ gefeiert, bestand es aus mehreren Tonnen baltischen Bernsteins, meisterhaft zu Intarsien, Reliefs und Wandverkleidungen verarbeitet. Die 2003 rekonstruierte Fassung im Katharinenpalast von Zarskoje Selo zeugt bis heute von der einzigartigen Verbindung aus Naturstoff und höfischer Repräsentation.
In der Moderne blieb Bernstein ein geschätztes Material in der Volkskunst des Ostseeraums, aber auch in der Wissenschaft – nicht zuletzt wegen seiner Inklusen, die einzigartige Einblicke in die Ökologie des Tertiärs geben. In Museen wie dem Naturkundemuseum Berlin oder dem Jantar-Museum in Danzig lassen sich diese versteinerten „Zeitfenster“ bis heute bestaunen.